RECHT Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein SMS der Arbeitgebenden müssen in der Freizeit nicht gelesen werden Die Freizeit der Beschäftigten stellt ein hohes Gut dar. Das zeigt einmal mehr ein Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Schleswig-Holstein. Geklagt hatte ein Notfallsanitäter gegen seinen Arbeit- geber, einen Rettungsdienstbetreiber. So verlangte der Beschäftigte die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte und die Gutschrift von gebuchten Fehl- stunden. Der Arbeitgeber hatte den Kläger in zwei Fällen telefonisch und per SMS und in einem Fall auch per E-Mail nicht erreicht, um ihm mitzuteilen, dass der Dienstplan geändert worden war und er früher zur Arbeit erscheinen solle. Am jeweils nächsten Morgen, zum ursprünglich geplanten Dienstbeginn, nahm der Sanitäter seinen Dienst auf. Der Arbeitgeber wertete das angeblich zu späte Auftauchen am Arbeitsplatz jedoch als unentschuldigtes Fehlen und erteilte ihm eine Abmahnung. Eine Vereinbarung darüber, dass der Sani- täter per Handy oder per E-Mail auch in der Freizeit erreichbar sein müsse, gab es nicht. ⁄ RECHT AUF UNERREICHBARKEIT WÄHREND DER FREIZEIT Das Arbeitsgericht Elmshorn (Urteil vom 27. Januar 2022 – Az. 5 Ca 1023a/21) entschied in erster Instanz, dass der Notfallsanitäter aufgrund einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht verpflichtet gewesen sei, sich nach dem Beginn seines Dienstes zu erkundigen. Anders sah es das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (Urteil vom 27. September 2022 – Az. 1 Sa 39 öD/22). Das LAG entschied, dass die Abmahnung entfernt und die Fehl- stunden dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden müssen. Zwar sei die Dienstplanänderung als solche vom Direk- tionsrecht des Arbeitgebers gedeckt gewesen, aller- dings habe der Arbeitgeber nicht nachgewiesen, dass dem Sanitäter diese Informationen auch tatsächlich zugegangen sei. Entscheidend war für das LAG, dass alle Kontaktaufnahmeversuche des Arbeitgebers in der Freizeit des Sanitäters erfolgt sind. In einem solchen Fall hätte der Arbeitgeber damit rechnen müssen, dass der Mitarbeiter die ihm geschickten SMS erst mit Beginn seines Dienstes zur Kenntnis nehmen würde. Erst dann sei der Arbeitnehmer nämlich verpflichtet, seiner Arbeit nachzugehen und die in seiner Freizeit bei ihm ein- gegangenen Nachrichten des Arbeitgebers zu lesen. Der Beschäftigte sei nicht dazu verpflichtet gewesen, sich in 20 seiner Freizeit zu erkundigen, ob sein Dienstplan geän- dert worden ist. Das Recht auf Nichterreichbarkeit diene, so das LAG, neben dem Gesundheitsschutz auch dem Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers. Einer Pflicht, anlasslos für den Arbeitgeber in der Freizeit erreichbar zu sein, wird durch diese Entscheidung ein Riegel vor- geschoben. Aufgrund der Bedeutung der Entscheidung besteht die Möglichkeit, dass sich auch das Bundes- arbeitsgericht mit dem Fall beschäftigen wird, sollte der unterlegene Arbeitgeber in Revision gehen. ⁄ RÜCKMELDEPFLICHT NOCH IM URLAUB IST NICHT RECHTENS Nach den der DPVKOM vorliegenden Informationen gibt es auch im Bereich der Deutschen Post ähnlich gela- gerte Fälle. So sollen beispielsweise einzelne Vorge- setzte in manchen Standorten bei der Deutschen Post AG ihre Beschäftigten dazu verpflichten, sich noch im Urlaub telefonisch zurückzumelden, um den Dienstan- tritt nach dem Urlaub zu bestätigen. Dem Arbeitgeber zufolge sei dies für die bessere Planung der Dienstpläne unverzichtbar. Teilweise werden hier auch schriftliche Anordnungen erstellt. So erhielt die DPVKOM von einem Mitglied die folgende in einer Niederlassung Betrieb existierende Anweisung zugeschickt. „(…) Vor Urlaubsantritt und -ende haben die Beschäftig- ten sich bei ihrem Personaldisponenten zu melden, falls nicht bereits bei Urlaubsantritt verbindliche Absprachen getroffen wurden.“ An dieser Stelle sei noch einmal klargestellt: Die Vor- gabe, sich noch vor Urlaubsende beim Arbeitgeber zu melden, lässt sich nicht mit den Grundgedanken des Urlaubsrechts vereinbaren. Die Beschäftigten müssen den ihnen zustehenden Urlaub uneingeschränkt und selbstbestimmt nutzen können. Dies ist bei solchen zwingenden Rückmeldegrundsätzen jedoch nicht mög- lich. Außerdem hat der Betriebsrat hier immer noch ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG. Fer- ner ist eine solche Regelung seitens des Arbeitgebers nicht verhältnismäßig, da durch die Bewilligung des Urlaubsantrags die genauen Urlaubszeiten vereinbart sind und grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Beschäftigten ihre Arbeit nach Beendigung des Urlaubs wieder antreten. Abmahnungen, die sich auf derartige „Verstöße“ beziehen, sind demnach rechtswidrig. Hier sollte eine Beratung im Rahmen des Rechtsschutzes durch die Justiziare der DPVKOM in Anspruch genom- men werden. Jessica Mathieu 02-2023